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Jan-Marus Lapp

Cover Frauen CDES STUNT EIN FROUWE ALLEINE

Katharina grote Lambers - Gesang
Claudia Heidl – Gesang, Flöten, Gemshorn, Rauschpfeife, Rahmentrommel, Portativ
Dagmar Jahn – Gesang, Flöten, Gemshorn, Sopran- und Bass-Cornamuse, Psalter
Susanne Schmidt – Gesang, Stabspiel, Glockenspiel, Perkussion
Gerda Weinreich – Gesang, Harfe, Perkussion
Jan-Marcus Lapp – Drehleier, Sackpfeife, Gesang
Reinhold Schmidt – Monochord, tiefe Trommel, Perkussion, Gesang
Dr. Lothar Jahn – Dommel, Cister, Gitarrenlaute, Oud, Scheitholt, Fidel, Zupfpsalter, Gesang, Konzeption und Leitung

Für Hilfe und Beratung Danke an Knud Seckel, Gabriele Wild, Frank Wunderlich, Peter Will, Hans Hegner, Schwester Ancilla Ferlings, Domitille Vigneron, Ulrike Bergmann, Amanda Simmonds, Prof. Dr. Angelica Rieger. Für musikalische Inspiration Dank an Thomas Binkley und Ougenweide.

Kontakt: Dr. Lothar Jahn, 05671-925355, www.musiktheater-dingo.de

>> Die CD gibt es für 15 Euro plus 3 Euro Versand hier.

>> Alle Liedtexte der CD mit Übersetzung finden sich hier als PDF!

Der weibliche Blick auf die Minne

Der Minnesang, diese wunderbare und erstaunliche höfische Kunst des Hochmittelalters, hat ein Zentralthema: Es geht um den Mann, der leidet wie ein Hund, weil ihm die Angebetete noch nicht einmal ein Lächeln schenkt. Sie ist so schön, sie ist so edel, so stark. Und er, stets ihr treuer Diener, hat keine Chance, ihr Herz zu erringen! Und sie? Die Schnippische, die Hartherzige, die Unerreichbare - was fühlt sie dabei? Eine authentische Antwort erhält man nicht in den Schriften des deutschen Minnesangs. Sucht man nach Frauennamen in der Manessischen, der Jenaer oder der Kolmarer Liederhandschrift, dann sucht man vergebens! Keine einzige Dichterin ist überliefert, wahrscheinlich hätte allein der Gedanke daran bei Zeitgenossen für Kopfschütteln gesorgt.

Für uns vom Musiktheater Dingo, das in den letzten Jahren ein wenig zur Begleitcombo von Minnesänger-Wettstreiten heutiger Nachfahren von Walther und Co. geworden war, ist das aber eine spannende Frage. Wir entdeckten, dass es im deutschen Minnesang wirklich nicht eine einzige überlieferte Dichterin gibt. Im romanischen Sprachbereich, wo ja die Idee des Minnesangs entstand und über lange Zeit gepflegt wurde, sieht es ein wenig anders aus: Dort kommen die weiblichen Trobadors, die sogenannten „Trobairitz“, immerhin auf etwa 5 Prozent in den Handschriften. So beginnen wir unser Programm auch mit den altprovenzalischen okzitanischen Liedern von Beatriz de Dia und ihren Zeitgenossen. Als Geburtsstätte der höfischen Preisung edler, unerreichbarer Damen gilt der aquitanische Hof. Hier fiel unser Augenmerk auf eine besonders interessante Frau: Eleonore von Aquitanien, die Königin der Trobadors, von vielen gefeiert und besungen – und verheiratet erst mit dem französischen, dann mit dem englischen König. Die Mutter von Richard Löwenherz stellen wir näher vor. Die familiäre Tradition wurde übrigens fortgesetzt: Eleonores Enkelin Blanka von Kastilien, später Königin von Frankreich, war selbst Sängerin, und gehörte zu den Trouvères, deren Sprache schon viel eher an das heutige Französisch erinnert. Auch auf deren Kunst werfen wir einen neugierigen Blick.

Die deutschsprachigen Liederhandschriften kommen ohne weibliche Beteiligung aus, allerdings ließen die Minnesänger in ihren Werken schon manchmal Frauen sprechen. Einen Einblick in deren Werke wollen wir natürlich auch geben, aus der großen Auswahl haben wir uns diverse Lieder vom Falken und Lieder von Mutter und Tochter herausgesucht. Die Frauen selber durften im deutschen Sprachraum, wie es aussieht, nur hinter Klostermauern dichten und komponieren. Allen voran die geniale Hildegard von Bingen, die im 12. Jahrhundert die klösterlichen Sangestraditionen auf ungewöhnliche Art weiterspann und zu einer eigenwilligen, hoch individuellen Kunstform fand. Ein Jahrhundert später war es dann Mechthild von Magdeburg, die noch einen Schritt weiterging, sich von der lateinischen Sprache löste und Formen und Bilder aus dem deutschen Minnesang mit der Preisung des himmlischen Bräutigams verband, woraus eine Art erotisches Gotteslob entstand, das uns ein wenig irritiert. Mechthild verband ihre Vorstellungen von der Liebe auch mit den Idealen der christlichen Armutsbewegung, die auf viele unzufriedene Mitglieder des Hochadels eine Anziehungskraft ausübte. Sie folgte Elisabeths Weg vom Fürstenhof hin zu den Kranken, Armen und Schwachen.

Die Begegnung mit dem weiblichen Blick auf die Minne hat unseren Horizont in Bezug auf das mittelalterliche Denken erweitert. Wir hoffen, dass wir dies an die Hörer weitergeben können.

Trobairitz

´Trobairitz sind das Gegenstück zu den Trobadors, die vom 11. bis 13. Jahrhundert in okzitanischer Sprache dichteten und sangen und dabei das Ideal der unerreichbaren, fernen Liebe zum Leitbild machten. Die Bezeichnung leitet sich von okzitanischen Wort „trobar“ (finden, erfinden) ab, was sowohl die Erfindung eines Liedes als auch die sehnsuchtsvolle Suche als Hauptthema beschreibt. Neben Beatriz de Dia sind die bekanntesten Trobairitz Azalais d'Altier, Azalaïs de Porcairagues, Beiris de Romans, Castelloza, Carenza, Clara D’Anduza, Tibors de Sarenom und Gormonda de Monpeslier.

Beatriz de Dia lebte im späten 12. Jahrhundert und ist die bekannteste des sogenannten Trobairitz, der weiblichen Trobadors. Sie war eine Gräfin, standesgemäß verheiratet mit Guilhem de Peitieus und laut ihrer „Vida“ (Kurzbiografie, die in den Liederhandschriften der Trobadors oft angehängt wurden) verliebt in den berühmten Trobador Raimbaut de Vaqueiras. Auch die Melodie des Liedes wird ihr zugeschrieben. Es ist das bekannteste Trobairitz-Lied und hat eine große Eigenständigkeit. Neben der großartigen Musik wird diese auch bestimmt durch die Selbstzweifel, die den Text durchdringen.

Quan vei lo praz verdesir“, unser zweites Beispiel aus den Gesängen der Trobairitz ist anonym und ohne Noten überliefert. Bei der musikalischen Umsetzung orientieren wir uns an der Fassung der französischen Musikerin Domitille Vigneron, bekannt von Gruppen wie Ensemble Perceval, Flor Enversa und Flor Nouvelle. Wir haben sie beim Europäischen Minnesang-Festival in Braunschweig als großartige Musikerin und Kollegin kennengelernt. Sie hat festgestellt, dass der Text dieses sehnsuchtsvollen Trobairitz-Liedes perfekt auf die Melodie von Peirols „D'eissa la D'eissa la razon qu'ieu suoill“ passt. Wir haben ihre Kontrafaktur zur Grundlage unserer Fassung gemacht. Außerdem Dank an Professorin Dr. Angelica Rieger von der RWTH Aachen, sie hat das Lied mit poetischen Worten übersetzt, die wir fast unbearbeitet übernommen haben.


Eleonore: Königin der Trobadore

Eleonore von Aquitanien war die Enkelin des Trobadors Wilhelm IX. von Aquitanien, den man auch als den "ersten Trobador" bezeichnete. An seinem Hof wurde um 1100 der Minnesang zur höfischen Hochkultur. Die okzitanische Hochsprache tauchte in seinen Liedern erstmals auf. Die Tradition lebte weiter. So wuchs Eleonore mit den Gesängen von der „fin'amors“, der unerfüllten höfischen Liebe auf. Sie wurde 1122 geboren und heiratete als 15jährige den französischen König Ludwig VII. in Bordeaux. Sie machte Paris zum Zentrum der Poesie und der Musik. Ludwig war von ihrer Vitalität und Kultiviertheit anfangs fasziniert, doch schnell wurde die lebenslustige und selbstbewusste Frau für ihn zum Problem. Er war im Kloster groß geworden, ihm lag das karge Leben der Mönche näher als Gesang und Tanz. Außerdem ließ sie ihn nicht allein regieren, wie es sich für eine Königsgattin geziemte: Sie wollte mit entscheiden! Sogar auf den Zweiten Kreuzzug zog sie 1147 mit: mit großem Gefolge, mit Sängern und Edeldamen, mit Köchen, Dienern, vielen Kleidern. Entsprechend langsam kam der Zug voran, der dann auch noch lange verweilte am Hofe von Eleonores Oheim Raymond von Poitiers in Antiochia (heute Türkei), Ludwig vermutete eine Affäre zwischen seiner Frau und ihrem Onkel. Trotzdem rauften sich die beiden noch einmal für fünf Jahre zusammen. Eleonore gebar Ludwig zwei Töchter, aber keinen Thronfolger. Das Zerwürfnis war schließlich nicht mehr zu überspielen: 1152 wurde die Ehe aus vorgeschobenen Gründen (zu enge Verwandtschaft der Partner) geschieden.

Noch im selben Jahr heiratete Eleonore erneut, diesmal Heinrich Plantagenet, Graf von Anjou und Herzog der Normandie. Sicher nicht zufällig hatte sie eine machtpolitisch kluge Wahl getroffen: Die Plantagenets strebten nach der englischen Krone. Das lebensfrohe Paar kontrollierte mit seinen vielen Besitztümern ganz Südwestfrankreich und ab 1254 auch England, denn man krönte Heinrich zum englischen König Henry II. Das neue „angevinische Reich“ ließ Eleonores Ex-Mann mit seinem vergleichsweise lächerlichen Zentralfrankreich ziemlich klein aussehen. Und nun brachte Eleonore, die Ludwig keinen Thronfolger geschenkt hatte, mehrere Söhne zur Welt. Die erfolgreiche Anfangsphase des agilen Königspaars endete jäh, als sich Henry öffentlich eine Geliebte nahm und es zu Streitigkeiten mit den Söhnen um Zeitpunkt und Art der Nachfolge kam. 1172 kam es zur öffentlichen Rebellion gegen den Vater, unterstützt von Eleonore. 1174 ließ Heinrich Eleonore verhaften und setzte sie 16 Jahre lang auf der Insel Oléron fest, die sie erst nach seinem Tod 1189 wieder verlassen durfte. Dann übernahm ihr Sohn Richard Löwenherz den Thron, sie fungierte 4 Jahre als Regentin, da er schon bald zum Kreuzzug aufbrach und später in Gefangenschaft geriet. Das astronomisch hohe Lösegeld in der Höhe von 60 Eimern Silber wurde von ihr zusammengetragen.

Die verwendeten Lieder sind das anonyme Frühlingslied „A l'Entrada“, das in humorvollen Worten das Zerwürfnis des französischen Königspaares schildert, das englische Herbstlied „Miri it is while the summer ilast“ sowie das berühmte Klagelied von Richard Löwenherz. Die letzten beiden Lieder wurden Eleonores Monolog unterlegt, in dem sie ihre Gefangenschaft und ihre Hoffnung schildert. Eleonore starb 1204.

Trouvères

Auch bei den Trouvères, die im 13. Jahrhundert die Tradition der Trobadors fortführten, hatten die singenden und dichtenden Frauen ihren Platz. Die Sprache der Trouvères ist das anglonormannische Altfranzösich, das dem heutigen Französisch viel ähnlicher ist als die okzitanische Sprache der Trobadors.

Blanka von Kastilien ist eine Enkelin Eleonores. Sie lebte 1188 bis 1252 und wuchs am Hofe des spanischen Königs Alphons dem VIII. von Kastilien auf. Hier waren die Musiker des Morgenlandes hochwillkommen, der Hof war eine Begegnungsstätte der Kulturen, aus der später unter Alphons X. die berühmte Sammlung der Cantigas de Santa Maria hervorgehen sollte. Der maurische Einfluss ist auch in der Melodik des von uns gewählten Liedes spürbar, wir heben diesen Aspekt in unserer Interpretation besonders hervor.

Blanka wurde zwölfjährig mit dem französischen Kronprinzen Ludwig VII. verheiratet. Es ging dabei auch darum, die lange Feindschaft zwischen dem französischen Kernland und dem angevinischen Reich, das England und einen großen Teil des heutigen Frankreichs umfasste, zu überwinden. Die Hochzeit ihrer Enkelin wurde noch von Eleonore mit arrangiert. Nach dem Tode ihres Mannes beim Albigenserkreuzzug 1226 wurde Blanka Königin von Frankreich, in Stellvertretung für ihren noch unmündigen Sohn, der erst 1234 die Krone allein übernahm. Er bekam später den Namen Ludwig der Heilige, brach 1249 gegen den Willen seiner Mutter mitsamt seinen Brüdern zu einem weiteren Kreuzzug auf, so dass sie erneut für sechs Jahre die Regentschaft übernahm.

Dem folgt ein Beispiel für die Gattung des „Chanson de malmariée“, also des Lieds über die unglückliche Ehe, wie es sich in Frankreich großer Beliebtheit erfreute. Das Lied über den eifersüchtigen Mann stammt von Etienne de Meaux, über den außer dem Lied gar nichts bekannt ist. Vielleicht war es ja auch eine Etiennette?!? Oder Etienne und mit ihm die männlichen Zuhörer konnten sich eher mit der Rolle des freimütigen Geliebten als mit der des engstirnigen Ehemanns identifizieren. Im deutschsprachigen Minnesang konnte die Gattung gar nicht Fuß fassen. Tun sich die Deutschen etwa schwerer mit der außerehelichen Liebe als die Franzosen? Vielleicht aber liegt das aber auch daran, dass hier die Männer ihre Frauen auf Händen tragen und es nur wunderbare Ehemänner und glückliche Frauen gibt!

Margot und Maroie sind zwei Trouvère-Damen, über die nicht mehr viel bekannt ist, außer dass sie im 13. Jahrhundert sangen und dichteten. In dem von uns vorgetragenen „jeu parti“ wird ein gesungenes Streitgespräch vorgeführt. Margot übernimmt dabei die Rolle der konventionellen, auf Ansehen und Anständigkeit bedachten Dame, Maroie stellt sich als risikofreudige Frau dar, die meint, man muss auch Grenzen überwinden, um die Freuden der Liebe zu erleben. Die beiden kommen auf keinen gemeinsamen Nenner: Am Ende geben sie nur ihrer Enttäuschung Ausdruck, dass die jeweils andere nichts von der Liebe versteht.

Hildegard von Bingen

Hildegard von Bingen lebte von 1098 bis 1179. Ruhm erlangte Hildegard vor allem durch ihre Visionen, ihre medizinischen Kenntnisse und durch ihren ausgeprägten Eigensinn, mit dem sie sich auch gegen Neid und Skepsis im Klerus durchsetzen konnte. Sie hatte ein großes Sendungsbewusstsein als eine Art Prophetin, diese Sicht wurde von den Zeitgenossen schließlich geteilt, vor allem als sich der berühmte Bernhard de Clairvaux und schließlich auch der Papst für sie stark machte. Sie lebte und wirkte, seit sie 8 Jahre alt war, im Kloster Disibodenberg, wo sie es bis zur Oberin brachte, später gründete sie das Kloster Rupertsberg neu, mit einer Filiale in Eibingen. Hildegard hatte für ihre Zeit eine verhältnismäßig vorurteilsfreie Sicht auf den menschlichen Körper, in ihrem Werk „Scivias“ findet sich die erste Schilderung des weiblichen Orgasmus. Sexualität kommt bei ihr auffälligerweise im Kontext von Liebe vor, der Fortpflanzungsaspekt steht nicht so im Mittelpunkt wie im allgemeinen kirchlichen Denken. Die Hingabe an die göttliche Liebe, an den Bräutigam Christus wird von ihr als Ersatz für die von ihr bejahte Liebe zwischen Mann und Frau gesehen, wobei sie durchaus davon spricht, dass dies für die Nonne oder den Mönch ein hartes Opfer bedeutet. Als Visionärin und christliche Mystikerin mit prophetischen Selbstverständnis beeindruckte sie ihre Zeitgenossen, die in ihr schon zu Lebzeiten eine Art Heilige sahen. Der Klerus bewahrte sich aber gegenüber der ungewöhnlichen Frau bis heute eine Distanz, das 1228 begonnene Heiligsprechungsverfahren wurde nie zum Ende gebracht.

Auch musikalisch fällt sie aus dem Rahmen: Sie ist eine der ältesten überlieferten Komponistinnen des Abendlandes. Zwar wurzeln ihre Melodien in der Gregorianik, sie arbeitet jedoch mit hochkomplexen melodischen Formeln und Formen, wobei auch der große Tonumfang der Melodien ganz zeituntypisch ist. Während die kirchliche Gebrauchsmusik ja gerade auf einfache, gut im Chor sangbare Formeln angewiesen ist, die auch weniger geschulte Stimmen bewältigen können, haben wir es hier mit einer sehr individuellen und eigensinnigen Kunst zu tun. Einspielungen und Konzerte von Hildegardmusik haben deshalb nicht selten einen artifiziellen, abgehobenen Charakter. Deshalb gab es von Seiten des Ensembles auch Unsicherheiten bezüglich der Art und Weise, wie diese Musik darzubieten sei. Das führte zu Kontakt mit den Nonnen der Abtei St. Hildegard in Rüdesheim, die in Hildegards Nachfolge und Tradition noch ihre Musik ins klösterliche Leben integrieren. Dort erfuhr ich von Schwester Ancilla Ferlings, dass die Melodien auf mehrere Sängerinnen aufgeteilt werden und dass es in der lebendigen Tradition einen Wechsel zwischen komplizierten solistischen und einfacheren chorischen Passagen gibt. Diesen Weg vollzogen wir in unserer Interpretation des „Caritas abundat“ nach. Auch der Einsatz von Instrumenten zum Gotteslob, was bei Puristen damals als zu sinnenfroh abgelehnt wurde, wird von Hildegard ausdrücklich bejaht.

Ein Rätsel für den Betrachter mittelalterlicher Notenhandschriften Hildegards sind merkwürdige Vokalketten: Da stehen am Ende jedes Abschnittes ein paar Noten, bei dem von uns gewählten „Caritas abundat“ ist dies „Eouoae“. Bei unseren ersten Versuchen sangen wir das einfach so, wie es notiert war. Der im Kloster geschulte Minnesang-Interpret Frank Wunderlich erklärte uns dann aber den wahren Sinn dieser Passage: Diese Vokalketten sind eine Art mittelalterliche Stenografie, mit der auf eine Psalmvertonung verwiesen wird, mit der man diese Antiphon kombiniert. Das „Eouoae“ steht für die Schlusswendung „saeculorum Amen“, die Melodie gibt einen Hinweis, wie dieser Schluss gesungen werden soll. Frank Wunderlich, geschult in der klösterlichen Überlieferung, hat für uns einen Psalm ausnotiert, der in der vorgegebenen Art endet. Den werden wir chorisch vortragen. Die von Hildegard ausgeschriebene Antiphon wird übrigens zweimal gesungen, sie umrahmt den Psalm. Wir haben für die Ausführung aber zwei Variationen gewählt: Erst eine dialogische Interpretation zweier Sängerinnen, dann eine instrumentale Ausführung.

Lieder vom Falken

Im Gegensatz zu den Liedern der Trobairitz und weiblichen Trouvères sucht man in der Überlieferung des deutschen Minnesangs vergeblich nach der authentischen weiblichen Stimme. Offenbar bedurfte es des wahren, männlichen Dichters, um in kunstvoller Form festzuhalten, was Frauen dachten (oder denken sollten): "Frauenlieder" sind im Minnesang nicht selten, und zwar in allen Phasen. Wir beginnen unseren Blick auf den Minnesang mit einer Suite von Falkenliedern, in denen die Liebe mit der Aufzucht von Falken verglichen wird, ein beliebtes Bild, das in verschiedenen Phasen des Minnesangs immer wieder aufgegriffen wird, zuletzt in parodistischer Form vom Mönch von Salzburg. Im frühen Minnesang, schon beim Kürenberger, sind Dialoge zwischen Mann und Frau beliebt, oft auch Doppelmonologe, die aus männlicher und weiblicher Sicht dem Zuhörer die Qualen der unerfüllten Liebe nahebringen. Friedrich von Hausen etwa lässt die vrouwe klagen über die Aufpasser, die sich anmaßen, über sie zu bestimmen und ihrem Liebsten keine Möglichkeit geben, sich ihr zu offenbaren. Sie betont, dass sie damit keinen Erfolg haben werden - eher lenkte man den Rhein in den Po!

In Dialogen Reinmars von Hagenau zwischen Herrin und Bote offenbart sich die Herrin einem Boten ihres Verehrers, wobei sie ihm auch Sehnsüchte preisgibt, die er seinem Herrn gegenüber verschweigen soll. Den soll er statt dessen zur Zurückhaltung und zu maßvollem Verhalten mahnen. Reinmars Schüler Walther von der Vogelweide setzte diese Form fort. In einem der berühmtesten Walther-Lieder "Under der linden" preist das Mädchen, das der Liebste in einer Nacht unter freiem Himmel beglückt hat, diese in den schönsten Farben, auch wenn sie wohl nur ein einmaliges Ereignis war. Man hört im schönsten "Tandaradei" ein wenig männliches Wunschdenken heraus, denn die Nacht ist vorbei und der Ritter ist für immer weg. Das anonyme Carmina-Burana-Lied "Ich was ein chint" lässt sich als realistischere Variation des Themas lesen: Sie schildert eine Linden-Liebelei in weniger geschönten Formen: Der Mann wird zudringlich, nimmt die Frau "mit erhobenem Speer" im Sturme und lässt sie schließlich allein und betrogen zurück. Kein Wunder, dass sie die Linde verflucht! Das Mädchen in Gottfrieds von Neiffen "Wan sî dahs" kennt solche Geschichten offenbar zur Genüge, denn sie lässt ihren Möchtegern-Verführer, der sie beim Flachsspinnen überrascht, eiskalt abblitzen: Sie macht ihm klar, dass sie ihn lieber am Galgen sehen würde, als ihm zu Willen zu sein!


Mutter und Tochter

Auch der romanischen "chanson de toile" mit Zwiegesprächen unter Frauen fand im Minnesang ein reges Echo. Neidhart "von Reuental" (ca. 1170 – ca. 1240) ließ die Freundinnen sich vergnügt über Tanz und Männer parlieren - wunderbar sein frühlingsfreches "Ine gesach die heide". Vor allem entwickelte er aber die Mutter-Tochter-Lieder weiter, wie sie in französischen Liedern wie "Bele Yolanz" oder "Bele Aelis" vorgeformt waren. Die Ausgangssituation ist immer die gleiche: Die Tochter will zum Tanze, die Mutter will sie nicht fortlassen, weil sie Angst vor der Zudringlichkeit der Herren und dem Leichtsinn ihres Sprösslings hat. Neidhart spielt das in allen Varianten von der Beschwörung über die Anklage bis zur handfesten familiären Schlägerei genussvoll durch. Die Mutter erinnert an die viele Arbeit im Hause, preist den reichen Meier aus der Nachbarschaft als geeigneten Heiratskandidaten und warnt vor ungewollter Schwangerschaft: Zwecklos, am Ende geht die Tochter doch. Andere Autoren spinnen den Faden gerne weiter. So findet sich in den Carmina Burana mit "Huc usque" ein Frauenlied, in dem es heißt: "Ach ich Arme, bis jetzt hatte ich meine Liebe gut geheim halten können, doch nun wächst mir der Bauch und die Mutter schlägt mich."

Aus der großen Auswahl der Mutter-Tocher-Lieder haben wir drei ausgewählt: Zuerst mit Neidharts „Blôzen wir den anger ligen sahen“ den Klassiker des Genres, dann Gottfrieds von Neifen „Minne, traute Minne“, bei dem die Ahnungen der Mutter war wurden und die Tochter ein Kind wiegen muss, weshalb sie nicht mehr zum Tanze kann. Und schließlich noch ein Neidhart, der die bekannte Konstellation umdreht: Nun will die Mutter sich dem Ritter aus dem Reuental an den Hals werfen, die Tochter mahnt!


Mechthild von Magdeburg

Mechthild von Magdeburg (ca. 1207 – 1282) war adliger Abstammung, fühlte sich aber angezogen von der christlichen Armutsbewegung. Sie ging im Alter von etwa 20 Jahren nach Magdeburg und begann dort ein mildtätiges, einfaches Leben in der christlichen, eher losen Frauengemeinschaft der Beginen. Auf Zuspruch ihres Beichtvaters Heinrich von Halle begann sie um 1250 mit der Aufzeichnung ihrer Texte, die ihre Gotteserfahrung zum Inhalt haben. Sie wurden im sechsbändigen Werk "Das fließende Licht der Gottheit" festgehalten: die liebende Seele auf der Suche nach Gott in einer Sprache, die manchmal ans Hohelied Salomos erinnert, dann wieder Stilfiguren des Minnesangs aufgreift und sie spirituell überhöht. Der Begriff der Minne ist ein roter Faden ihres Werkes; die in deutscher Sprache und eben nicht wie sonst im kirchlichen Rahmen üblich in Latein verfassten Texte sind höchst poetisch und liedhaft, oft erotisch aufgeladen, was uns heute sehr befremdet. Die heilsame Kraft der Minne ist aber auch Leitfaden für das Leben auf Erden: Wie die Sänger des Spruchgesangs sagt sie, wie man "zer werlte leben sol", und findet dafür eindringliche Bilder: Auf der einen Seite stehen die verborgene Grimmigkeit, die Gier mit ihrem schreienden Mund, die ungeduldige Hoffart, die stets schön herausgeputzte Falschheit, die auf bösem Grund wachsende Hinterlist und die nach Achtbarkeit strebenden weltlichen Herzen, in denen jedoch Hass glimmt ohne Unterlass. Auf der anderen Seite steht die Minne, gütig, maßvoll und mild: Die Minne, klarer als die Sonne, größer als die Berge, ist alles, was am Ende wirklich zählt.

Musiktheater Dingo

Das Musiktheater Dingo wurde 1978 von Peter Will und Lothar Jahn in Hofgeismar gegründet, um ihre Rock-Oper „Dingo“ (angeregt durch „Tommy“ von The Who) auf die Bühne zu bringen. Das Debüt-Stück war ein großer Erfolg und wurde in 50 Aufführungen in ganz Deutschland gezeigt. Es folgten weitere Produktionen, die die Verbindung von Zeitgeschichte, Theaterszenen vitaler Musik, deutschen Texten, Chor- und Sologesang in unterschiedlichen Besetzungen erprobten. Die Arbeit wurde mehrfach preisgekrönt, darunter 1988 der Carl-Maria von Weber-Preis für das Rock-Märchen „Spiegelscherben“. Mit einer deutschen Fassung der russischen Rock-Oper „Avos!“ wurde die Öffnung des „Eisernen Vorhangs“ 1990 begangen, mit der Rock-Revue „Michels Wunderland“ (1994) die Geschichte der Bundesrepublik Deutschland satirisch auf den Punkt gebracht.

Ende der 90er Jahre gab es eine Zäsur: Die immer aufwändigeren Produktionen mit großer Besetzung und großem Aufwand an Ton- und Bühnentechnik führte zu einer Abkehr von der Rockmusik. Die Vorbereitung eines Stückes zum Thema „unerfüllte Liebe“ führte zur Begegnung mit dem Minnesang, der seit mehr als einem Jahrzehnt stilprägend für Dingo wurde. Auf Mikrophone wird inzwischen fast völlig verzichtet, statt elektrisch verstärkten Instrumenten kommen akustische Klangerzeuger zum Tragen, darunter immer mehr historisch inspirierte Instrumente von der Drehleier über Sackpfeife und Flöten bis hin zu keltischer Harfe, Cister und Schlagwerk aller Art. In Singspielen wie „Wizlaw, der Verführer“ und „Elisabeth: Keine wie wir.“ wurde mittelalterliche Musik mit historischen Stoffen verbunden.

Seit 2005 setzt das Musiktheater Dingo auch die Sänger-Wettstreite mit Sängern aus dem gesamten deutschen Sprachraum in Szene. Die Musiker von Dingo begleiten die Sänger, die Schauspieler schaffen den Sängern einen Rahmen, in dem sie ihre Lieder präsentieren können. 2009 gab es in Braunschweig dann die erste europaweite Veranstaltung dieser Art: das höchst erfolgreiche European Minnesang Festival in Braunschweig.

Mit „Es stunt ein frouwe alleine“ (Premiere: 2011 in Zierenberg) ist nun wieder eine Eigenproduktion von Dingo zu erleben: Aus der von Männern dominierten Überlieferung mittelalterlicher Lieder aus dem deutschen und französischen Raum wird nach dem spezifisch „weiblichen Blick auf die Minne“ auf die Minne gesucht. Starke, eigenwillige und kreative Frauenpersönlichkeiten treten dabei aus dem Schatten ins Licht.

> Kontakt und CD-Bestellung: Dingo Musik und Theater e.V., Dr. Lothar Jahn, Guderoder Weg 6, 34369 Hofgeismar, Tel. 05671-925355.